Eine lyrische Reise ins Herz der USA: “The hill we climb”

Es war mehr als eine viel beachtete Rede einer schönen jungen ‘black woman’ aus Los Angeles, mehr als ein berührendes Langgedicht, das vor den Augen und Ohren der illustren Gäste vor Ort auf der Terrasse des Capitols am ‘Inauguration Day’ vorgetragen und mittels Liveübertragung in die ganze Welt übermittelt wurde.

Amanda Gorman recites her inaugural poem, "The Hill We Climb," during the 59th Presidential Inauguration ceremony in Washington, Jan. 20, 2021. President Joe Biden and Vice President Kamala Harris took the oath of office on the West Front of the U.S. Capitol. (DOD Photo by Navy Petty Officer 1st Class Carlos M. Vazquez II)

Das bewegende, auch pathische und aus besorgnistragender Gegenwart in eine zuversichtliche Zukunft weisende Gedicht, das Amanda Gorman, erst 22 Jahre alt, aber schon vielfach geehrt – sie wurde 2017 zur ersten National Youth Poet Laureate – am 20.01.2021 zur Amtseinführung von Joe R. Biden als 46. Präsident der USA vortrug , trägt den Titel ‘The Hill we climb’.

„The hill we climb“

When day comes, we ask ourselves where can we find light in this never-ending shade?
The loss we carry, a sea we must wade.
We’ve braved the belly of the beast.
We’ve learned that quiet isn’t always peace,
and the norms and notions of what “just” is isn’t always justice.
And yet, the dawn is ours before we knew it.
Somehow we do it.
Somehow we’ve weathered and witnessed a nation that isn’t broken,
but simply unfinished.
We, the successors of a country and a time where a skinny Black girl descended from slaves and raised by a single mother can dream of becoming president, only to find herself reciting for one.

And yes, we are far from polished, far from pristine,
but that doesn’t mean we are striving to form a union that is perfect.
We are striving to forge our union with purpose.
To compose a country committed to all cultures, colors, characters, and conditions of man.
And so we lift our gazes not to what stands between us, but what stands before us.
We close the divide because we know, to put our future first, we must first put our differences aside.
We lay down our arms so we can reach out our arms to one another.
We seek harm to none and harmony for all.
Let the globe, if nothing else, say this is true:
That even as we grieved, we grew.
That even as we hurt, we hoped.
That even as we tired, we tried.
That we’ll forever be tied together, victorious.
Not because we will never again know defeat, but because we will never again sow division.

Scripture tells us to envision that everyone shall sit under their own vine and fig tree and no one shall make them afraid.
If we’re to live up to our own time, then victory won’t lie in the blade, but in all the bridges we’ve made.
That is the promise to glade, the hill we climb, if only we dare.
It’s because being American is more than a pride we inherit.
It’s the past we step into and how we repair it.
We’ve seen a force that would shatter our nation rather than share it.
Would destroy our country if it meant delaying democracy.
This effort very nearly succeeded.
But while democracy can be periodically delayed,
it can never be permanently defeated.
In this truth, in this faith, we trust,
for while we have our eyes on the future, history has its eyes on us.
This is the era of just redemption.
We feared it at its inception.
We did not feel prepared to be the heirs of such a terrifying hour,
but within it, we found the power to author a new chapter, to offer hope and laughter to ourselves.
So while once we asked, ‘How could we possibly prevail over catastrophe?’ now we assert, ‘How could catastrophe possibly prevail over us?’

We will not march back to what was, but move to what shall be:
A country that is bruised but whole, benevolent but bold, fierce and free.
We will not be turned around or interrupted by intimidation because we know our inaction and inertia will be the inheritance of the next generation.
Our blunders become their burdens.
But one thing is certain:
If we merge mercy with might, and might with right, then love becomes our legacy and change, our children’s birthright.

So let us leave behind a country better than the one we were left in.
With every breath from my bronze-pounded chest, we will raise this wounded world into a wondrous one.
We will rise from the gold-limped en hills of the west.
We will rise from the wind-swept north-east where our forefathers first realized revolution.
We will rise from the lake-rimmed cities of the midwestern states.
We will rise from the sun-baked south.
We will rebuild, reconcile, and recover.

In every known nook of our nation, in every corner called our country,
our people, diverse and beautiful, will emerge, battered and beautiful.
When day comes, we step out of the shade, aflame and unafraid.
The new dawn blooms as we free it.
For there is always light,
if only we’re brave enough to see it.
If only we’re brave enough to be it.

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Hier noch (m)ein Versuch, diesen vieldeutigen angloamerikanischen Text ins Deutsche zu übertragen:

Einleitende Worte von Amanda Gorman: “Herr Präsident Dr. Biden, Frau Vizepräsidentin, Herr Emhoff, Bürger Amerikas und der ganzen Welt” …

“Der Hügel, den wir erklimmen”

Wenn der Tag anbricht, fragen wir uns, wo wir Licht finden können, in diesem niemals endenden Schatten?

Den Verlust, den wir tragen, ein Meer, das wir durchwaten müssen. Wir haben der Höhle des Löwen getrotzt.

Und wir haben gelernt, dass Ruhe nicht immer auch gleichbedeutend mit Frieden ist. Und dass die Normen und Werte von dem, was gerade geschieht, nicht immer gerechtes Geschehen ist.

Und doch ist der Aufbruch der unsere, noch ehe wir es wussten. Irgendwie schaffen wir das. Irgendwie haben wir es überstanden und erlebten eine Nation, die nicht gebrochen sondern die unvollendet ist

Wir sind die Nachfahren eines Landes und einer Zeit, in der eine dünne junge schwarze Frau, von Sklaven abstammend und aufgezogen von einer alleinerziehenden Mutter, davon träumen kann, Präsidentin zu werden, die sich unversehens in einer Situation wiederfindet, in der sie für einen (den neuen Präsidenten) vorträgt.

Und ja, wir sind alles andere als lupenrein, alles andere als makellos, und das bedeutet gerade nicht, dass wir uns bemühen, eine Gemeinschaft zu bilden, die perfekt ist.

Wir bemühen uns, eine Gemeinschaft mit Absichten zu formen. Ein Land zu komponieren, das sich allen Kulturen, Farben, Charakteren und menschlichen Lebensverhältnissen verpflichtet fühlt.

Und so richten wir unsere Blicke nicht auf das, was zwischen uns steht, sondern auf das, was vor uns steht. Wir schließen die Kluft, weil wir wissen, dass wir, um unsere Zukunft an erste Stelle zu setzen, zuerst unsere Differenzen beiseitelegen müssen.

Wir legen unsere Waffen nieder, damit wir unsere Arme zueinander ausstrecken können. Wir suchen Schaden für niemanden und Harmonie für alle.

Lasst die Welt, wenn sonst auch nichts, sagen, dass dies wahr ist:

Dass, selbst als wir trauerten, wir wuchsen.

Dass, selbst als wir litten, wir hofften.

Dass, selbst als wir ermüdeten, wir es versuchten.

Dass wir für immer verbunden sein werden, siegreich. Nicht weil wir nie wieder eine Niederlage erfahren werden sondern weil wir nie wieder Spaltung säen werden.

Die Heilige Schrift bekräftigt uns darin, uns vorzustellen, dass jeder unter seinem eigenen Weinstock und Feigenbaum sitzen soll und keiner ihnen Angst machen soll.

Falls wir unserer eigenen Zeit gerecht werden, dann wird der Sieg nicht in der Klinge liegen sondern in all den Brücken, die wir gebaut haben.

Das ist das Versprechen wie eine Lichtung zu leuchten.

Der Hügel, den wir erklimmen (werden), wenn wir es nur wagen.

Denn Amerikaner zu sein, ist mehr als ein Stolz, den wir erben, es ist die Vergangenheit, in die wir eintreten, und wie wir diese reparieren.

Wir haben eine Macht gesehen, die unsere Nation eher zerschmettern würde, als sie zu teilen. Sie würde unser Land zerstören, wenn damit die Demokratie hingehalten wird. Und dieser Versuch war fast erfolgreich

Doch auch wenn Demokratie von Zeit zu Zeit behindert werden kann, kann sie niemals dauerhaft besiegt werden. In diese Wahrheit, in diesen Glauben, vertrauen wir

Denn während wir unsere Augen auf die Zukunft richten, hat die Geschichte ihre Augen auf uns gerichtet. Dies ist die Ära nur der Tilgung. Wir fürchteten uns zu deren Beginn. Wir fühlten uns nicht bereit, Erben einer solch schrecklichen Stunde zu sein, doch in ihr fanden wir die Kraft, ein neues Kapitel zu schreiben, uns selbst Hoffnung und Lachen zu schenken.

Also während wir uns einst fragten, wie wir diese Katastrophe überstehen könnten, fragen wir jetzt: Wie könnte eine Katastrophe uns möglicherweise beherrschen?

Wir werden nicht zurück marschieren zu dem, was war, sondern auf das zugehen, was sein wird:

ein Land, das zwar verletzt, aber dennoch intakt ist,

wohlwollend, aber auch kühn,

leidenschaftlich und frei.

Wir werden nicht durch Einschüchterung umdrehen oder uns aufhalten lassen, weil wir wissen, dass unsere Untätigkeit und Trägheit das Erbe für unsere nächste Generation sein wird. Unsere Fehler werden zu ihren Lasten

Aber eines ist sicher: Wenn wir Barmherzigkeit mit Macht verbinden und Macht mit Recht, dann wird Liebe unser Vermächtnis und Veränderung das Grundrecht unserer Kinder.

Also lasst uns ein Land hinterlassen, das besser ist als jenes, dass uns hinterlassen wurde

Mit jedem Atemzug aus meiner bronzefarbenen Brust, werden wir diese verwundete Welt in eine wunderbare verwandeln

Wir werden herauswachsen aus den goldbeschienenen Hügeln des Westens.

Wir werden herauswachsen aus dem windumtosten Nordosten, wo unsere Vorfahren zum ersten Mal die Revolution verwirklichten.

Wir werden herauswachsen aus den von Seen gesäumten Städten des Mittleren Westens.

Wir werden herauswachsen aus dem sonnengebrannten Süden.

Wir werden wiederaufbauen, uns wieder versöhnen und wieder erholen.

In jedem bekannten Winkel unserer Nation und in jeder Ecke, die unser Land genannt wird, wird unser Volk, vielfältig und schön, aufstreben, ramponiert und schön.

Wenn der Tag kommt, treten wir aus dem Schatten heraus, entflammt und ohne Angst.

Der neue Morgen erblüht, wenn wir uns befreien.

Denn es gibt immer Licht,

wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen,

wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.

[Übersetzung des Gedichts “The hill we climb” von Amanda Gorman: Travellinjo Uno (Joachim Willms) ‘with a little help of’ Bernd Neubauer 2021]


Aus dem Orbit:

-1- Der Verlag Penguin Young Readers (PYR) hat die Veröffentlichung von mindestens 150.000 Hardcover-Exemplaren des Gedichts für das Frühjahr 2021 angekündigt.

-2- Das Gedicht enthält einige Zeilen aus dem (in den USA populären) Musical Hamilton (2015) von Lin-Manuel Miranda:

Let the globe, if nothing else, say this is true.
   That even as we grieved, we grew.
   That even as we hurt, we hoped.
   That even as we tired, we tried.

Lass die Welt sagen, wenn sonst auch nichts, dass dies wahr ist.
   Dass, selbst als wir trauerten, wir wuchsen.
   Dass, selbst als wir litten, wir hofften.
   Dass, selbst als wir ermüdeten, wir es versuchten.

Dies ist auch als Verweis und Hommage an den amerikanischen Gründungsvater Alexander Hamilton gedacht.

-3- Amanda Gorman ist eine Freundin der bekannten amerikanischen Moderatorin Oprah Winfrey. Bei ihrem Vortrag am Inauguration Day trug sie Schmuck, den Winfrey ihr geschenkt hat.

-4- Auch trug Gorman einen Ring, mit dem Motiv eines Vogels in einer Voliere. Dies ist als Hommage an Maya Angelou, einer schwarzen Sängerin und Schriftstellerin, und deren autobiografisches Werk ‘I Know Why the Caged Bird Sings‘ zu sehen. Angelou trug ebenfalls ihr Gedicht ‘On the Pulse of Morning‘ bei der Inauguration (1993) von Präsident Clinton vor.

-5- Amanda Gorman hat eine Zwillngsschwester names Gabrielle. Gabrielle ist (ebenfalls) eine Feministin und politische Aktivistin. Beide zusammen unterstüzten die Womens Marches, die sich für allgemeine Gleichberechtigung in der amerikanischen Gesellschaft einsetzten. Dazu produzierten sie 2018 auch das Video “Rise Up As One.”

-6- Und Gorman hat etwas Persönliches mit Präsident Biden gemeinsam: Beide hatten in ihrer Jugend einen Sprachfehler, wie sie es selbst in einem Beitrag für huffpost.com beschrieb.

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